Hilfe, ich bin entscheidungsschwach
Entscheidungen prägen unseren Alltag. Immer wieder müssen wir kleine spontane Entscheidungen (Welches Brötchen soll ich kaufen?), abwägende Entscheidungen (Soll ich wirklich meine Eltern besuchen fahren?) oder auch existenzielle Entscheidungen treffen (Soll ich meine Arbeitsstelle kündigen?). Doch bei nicht allen Entscheidungen lässt sich so schnell überschauen, wie wichtig deren Konsequenzen für mein Leben sind. Oder noch extremer: Bei vielen Entscheidungen tun wir so, als ob sie existenziell wären.
Der FOBO-Effekt vieler Wahlmöglichkeiten
Neben der Tatsache, dass Entscheidungen unseren Alltag bestimmen, gibt es aber auch das Phänomen, dass Wahlmöglichkeit Belastung sein kann. Denn bei vielen Optionen, die gleichwertig scheinen, weil sie nicht lebensbestimmend sind, erscheint die Entscheidung besonders schwer. Die New York Times betitelte dieses Phänomen als FOBO-Effekt (Fear Of Better Options), also die Angst vor besseren Möglichkeiten. Beispiel: Man kann sich nicht für eine Tintenroller-Marke entscheiden, oder man kauft sich eine grüne und rote Gießkanne, weil einem beide Farben gefallen und man sich nicht dazwischen entscheiden kann. Oder man konfiguriert sich ein neues Auto und weiß nicht, was wichtige und was vermeidbare Optionen sind. Der Soziologe Peter Gross beschreibt diese Phänomene als das "Paradoxon der Multioptionsgesellschaft", die zum einen zwar mehr Freiheit bietet, zum anderen aber dadurch mehr Stress erzeugt, da diese Freiheit der Entscheidung zur Belastung, sich entscheiden zu müssen, mutiert.
Entscheidung ist nicht Entscheidung
- Die alltägliche Entscheidung
Ich weiß nicht, welches Brötchen ich kaufen soll? Egal, ich werde wahrscheinlich von welcher Wahl auch immer nicht lange beeinflusst bleiben. Daher ist hier die Entscheidungslast niedrig. Aber Achtung FOBO-Effekt: Die Entscheidung darf nicht länger dauern als der Verzehr des Brötchens.
- Die emotionale Entscheidung
Wenn man abwägen muss, ob man zu den Eltern fährt, die sich freuen, oder aber nicht, damit man mehr arbeiten oder lernen kann, gibt es meistens vorstellbare Szenarien, die sowohl bei der einen als auch bei der anderen Entscheidung entstehen. Kommuniziert man beide Möglichkeiten mit den Eltern, kann man vielleicht eher eine Entscheidung treffen, als wenn keine Alternative durchdacht und besprochen wurde.
- Die Lebensentscheidung
Will man seine Arbeitsstelle kündigen, weil man merkt, dass sie aus verschiedenen Gründen nicht passt, so ist das eine Entscheidung, die Zeit und auch die Kommunikation mit anderen braucht. Hierbei empfiehlt es sich, sich ein Zeitfenster für die Entscheidung zu geben, bis wann sie gefällt sein muss. Dadurch vermeidet man die Falle, die Entscheidung auszusitzen oder zu verdrängen.
Die 10-10-10-Methode für Lebensentscheidungen
Für diese letzte Art der Entscheidungen, also die großen und in ihrer Konsequenz weitreichenden hilft es, sich auch über den Zeitraum der Entscheidung klar zu werden. Suzy Welch, eine amerikanische Wirtschaftsjournalistin, empfiehlt in ihrem Buch „10-10-10: 10 Minuten, 10 Monate, 10 Jahre – Die neue Zauberformel für intelligente Lebensentscheidungen“, Entscheidungsvoraussetzungen erst einmal klar zu formulieren. Was muss ich genau entscheiden, welches Problem will ich damit lösen? Das heißt: Hier geht es nicht darum, welche Entscheidung man trifft, sondern was die Entscheidung hinsichtlich ihrer Konsequenz bedeutet und welche Fakten jetzt dazu führen, sich dieser Entscheidung zu stellen.
Die Priorität einer Entscheidung
Oft ist es aber gar nicht so einfach, aus den Fakten herauszubekommen, wie wichtig eine Entscheidung ist. Hier kommt die 10-10-10-Methode zu Zuge. Denn drei ganz einfache Fragen helfen, alle Konsequenzen einer Entscheidung zeitlich einzuordnen.
- Wie verändert meine Entscheidung die nächsten zehn Minuten?
- Wie verändert meine Entscheidung die nächsten zehn Monate?
- Wie verändert meine Entscheidung die nächsten zehn Jahre?
Dabei steht die “10” nicht für die absolute Zeitangabe, sondern eher plakativ für kurze, mittelfristige und lange Zeiträume.
Entscheidungen und Überzeugungen
Nachdem Sie das entschieden haben, geht es nun um innere Überzeugungen.
- Wie gut passt meine Entscheidung zu meinen inneren Glaubenssätzen und moralischen Werten?
- Wie gut unterstützt oder beeinflusst meine Entscheidung meine Lebensziele oder Träume?
- Wie wichtig ist meine Entscheidung bezüglich der Erfüllung aller grundlegenden Bedürfnisse?
Beispiel für die Anwendung der 10-10-10-Methode
Im Probejahr sitzt ein Instrumentalist in seiner Stimmgruppe und ärgert sich zum wiederholten Male, dass der Vorspieler vermeintliche Kritik in einer unverschämten, übergriffigen und arroganten Art äußert.
Folgende Entscheidung hat er zu treffen: Soll er höflich, aber ganz klar sich diese Art der Kritik verbitten?
A Was passiert in den ersten 10 Minuten, wenn er es tut?
Wahrscheinlich wird der Vorspieler sauer werden und das auch dementsprechend äußern. Wahrscheinlich ist auch, dass er mit Konsequenzen droht und er “so mit sich nicht reden lasse”.
B Was passiert in den ersten 10 Minuten, wenn er es NICHT tut?
Der Instrumentalist sitzt da und ärgert sich, frisst den Ärger in sich hinein und fühlt sich unwohl.
A Was passiert in den nächsten 10 Monaten, wenn er es tut?
Die Angriffe werden deutlich abnehmen, ein- oder zweimal muss der Instrumentalist sich noch den Ton verbitten, was aber einfacher ist, weil er es sich schon einmal getraut hat. Der Vorspieler bemüht sich, Kritik fairer zu äußern. Der Instrumentalist geht auch darauf ein, der Vorspieler merkt, dass er damit mehr Erfolg hat.
B Was passiert in den nächsten 10 Monaten, wenn er es NICHT tut?
Der Ärger sitzt tief, er gräbt sich fort bis hin zur resignativen Verzweiflung. Irgendwann fängt der Instrumentalist an zu glauben, dass er nichts könne und zweifelt an seiner Berufung. Das Probejahr ist nur noch eine Ansammlung unschöner Momente. Wahrscheinlich wird er nicht nur nicht verlängert, sondern er wird von sich aus kündigen.
A Was passiert in den nächsten 10 Jahren, wenn er es tut?
Ein Miteinander auf Augenhöhe erscheint möglich. Zumindest aber lehrt die Erfahrung, sich nicht alles gefallen zu lassen und dass Achtsamkeit ein wichtiger Begleiter für das innere Gleichgewicht ist. Der Instrumentalist erfuhr Selbstwirksamkeit. Er hat Freude an seinem Beruf, weil er gelernt hat, sich auch abgrenzen zu können.
B Was passiert in den nächsten 10 Jahren, wenn er es NICHT tut?
Musiker ist er die längste Zeit gewesen. Mittlerweile arbeitet er in einem anderen Beruf und stellt fest, dass er wieder ähnlichen Situationen ausgesetzt ist wie in seinem Probejahr. Und wieder erwehrt er sich derer nicht. Er stellt fest, dass der Beruf Musiker zu sein nichts damit zu tun hat, Grenzen zu ziehen und sich nicht alles gefallen zu lassen.
Zusammenfassung:
8 Tipps für zuverlässige Entscheidungen
1. Entscheidungsziel erarbeiten
Warum muss oder möchte ich mich entscheiden? Was habe ich davon, mich zu entscheiden? Wie wichtig ist die Entscheidung? Was passiert, wenn ich mich nicht entscheide?
2. Entscheidungsart erkennen
Ist die Entscheidung wirklich wichtig? Bin ich Opfer des FOBO-Effekts (Fear Of Better Options)? Gehört sie eher zu den alltäglichen, zu den emotionalen oder zu den lebenswichtigen Entscheidungen?
3. Alle Voraussetzungen der Entscheidung kennen
Bei Entscheidungsschwierigkeiten sollte man alles aufschreiben, was positiv oder negativ ist. Die Hauptaufgabe dieser Tabelle ist die absolute Ehrlichkeit. Und ein Tipp am Rande: So schön schnell es am Computer auch gehen mag, schreiben Sie die Liste mit der Hand, dadurch haben Sie am ehesten die Möglichkeit, Geschriebenem auch emotional nachzuspüren.
4. 10-10-10-Methode anwenden
Was bedeutet meine Entscheidung in den ersten zehn Minuten, in den nächsten zehn Monaten und in zehn Jahren?
5. Losen zwischen den Alternativen
Man kann sich verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten oder Szenarien aufschreiben. Jeweils eine Szene auf einen Zettel. Diese faltet man diese zusammen und macht daraus gleich aussehende Lose. Nun greift man in den Topf und “lost” sich eine Entscheidung. Reflektiert man im Moment des Öffnens sein eigenes Gefühl (‘Ooch, ich hatte gehofft, dass es Entscheidung A ist’, oder: ‘Cool, genau das hatte ich mir gewünscht.’), sagt es sehr viel über die Richtigkeit einer Entscheidung aus. Hier übt man, auf sein Bauchgefühl zu achten.
6. So tun als ob
Manchmal kann es auch sinnvoll erscheinen, einfach eine beliebige Entscheidung zu treffen und eine zeitlang damit zu leben. Man merkt auch hier vielleicht erst nach einer gewissen Weile, was ‘richtig’ und was ‘falsch’ ist. Auch hier ist es wichtig, sich seines Gefühls bewusst zu werden und zu beobachten, wie man immer mehr die Entscheidung anzweifelt oder unterstützt.
7. Konsequenzen imaginieren
Eine weitere Möglichkeit ist die eigene Vorstellung, nicht nur über die vermeintlichen Worst-Case-Szenarien, sondern auch über die positiven Konsequenzen. Man schließe einfach die Augen und male sich so detailliert wie möglich aus, wie man mit der Entscheidung A, B oder C lebt. Auch hier kommen, je farbenfroher man sich das vorstellt, vermehrt Gefühle ins Spiel, die zeigen, mit welchen Alternativen oder sogar Kompromissen man sich wohl fühlt.
8. Möglichkeiten minimieren
Wenn es sehr viele Entscheidungsmöglichkeiten gibt, reduzieren Sie diese auf 2 bis maximal 3 Lösungswege. Damit verschaffen Sie sich Klarheit und konzentrieren sich auf die wesentlichen Dinge. Am Ende müssen Sie sich nur zwischen diesen 2 oder 3 Wegen entscheiden.
Bitte beachten Sie auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.