Hilfe, ich kann nicht kritisieren
Letzte Woche ging es um die Schwierigkeit, Kritik annehmen zu können. Heute geht es darum, wie schwer es sein kann, sie so zu äußern, dass sie auch so ankommt, wie man es eigentlich möchte. Jeden Tag gibt es viele Momente, wo wir Kritik üben, auch wenn sie vielleicht nicht immer als solche erkennbar ist. Ob positiv, negativ oder destruktiv, wie auch immer sie gemeint ist, dass sie so angenommen und verstanden wird, ist eher selten. Doch warum ist das so? Warum ist es so schwer, sich in der Kritik verständlich zu machen. Heute gucken wir uns vor allem ein Beispiel näher an.
“Das hast du gut gemacht.”
Betrachten wir zunächst diesen völlig unverfänglich anmutenden Satz. Und dann erinnern wir uns an unsere eigenen Erlebnisse damit. War es immer die ungeteilte Freude darüber, gelobt zu werden? Oder schlich sich nicht auch manchmal ein wenig Frust oder Ärger ein, dass etwas beurteilt wurde, was sich der eigenen Meinung nach außerhalb der Befugnis der lobenden Person befand?
Im klassischen Sinne handelt es sich bei dem oben genannten Lob um eine Du-Botschaft. Sie ermöglicht wie auch ihre Kollegen (“Man”- Sätze, “Wir”-Sätze, “Es”-Sätze, Fragesätze) eine Verschleierung der eigenen Meinung, sprich: die Selbstoffenbarungsebene ist hier stark verschlüsselt. (siehe auch Vier-Ohren-Modell) Durch den Mangel an dieser Ebene kann aber ohne weitere Hinweise, Symbole oder Konnotationen die Nachricht unklar werden.
Analysieren wir es mal anhand des Beispiels: “Das hast du gut gemacht.” Was hört der Empfänger?
Sachebene: "Gut gemacht.”
Appellebene: “Weiter so.”
Beziehungsebene: “Ich brauche anscheinend Lob als Ansporn.”
Selbstoffenbarungsebene: “Kann er das eigentlich beurteilen???” “Er lobt mich, weil er Ahnung hat???”, “Er lobt mich, weil ich ihm lästig bin????”, “Er denkt eh, es besser zu können???”
Und hier wird's dünn. Hätte der Sender gesagt: "Ich habe mich sehr gefreut darüber.”, wäre die Aussage eindeutiger gewesen. Aber nun kommen wir zum Sender. Was könnten seine zu sendenden Ebenen gewesen sein?
Sachebene: “Gut gemacht.”
Appellebene: “Wann klappt es denn auch mal ohne Lob?”
Beziehungsebene: “Ich muss dich motivieren, du schaffst es ohne mich nicht.”
Selbstoffenbarungsebene: “Ich selbst finde es nicht so toll, aber ich lobe dich aus pädagogischen Gründen.”
Das ist natürlich nur eine Möglichkeit. Ein andere könnte sein:
Sachebene: “Gut.”
Appellebene: “So, jetzt lass es aber.”
Beziehungsebene: “Er schätzt meine Meinung, das schmeichelt mir. Also lobe ich ihn, damit er mich öfter fragt.”
Selbstoffenbarungsebene: “Ich zweifle sehr, ob ich das könnte. Ich hoffe, er erkennt nie, dass ich das gar nicht beurteilen kann.”
Hier sieht man schon, wie verschieden Sendungsimpulse von ein- und derselben verbalen Nachricht sein können. Alle anderen Faktoren wie Stimmhöhe und -farbe, Sprechlautstärke und -tempo, weiterhin Mimik, Gestik, Haltung, Atmung, Blick und Timing interpretieren diese Impulse.
“Das kannst du besser.”
Kommen wir nun zur konstruktiven Kritik. Sie ist inhaltlich ein weites Feld. Sie reicht von: “Los ihr Schlafmützen, ran an den Ball, gebt alles…” bis hin zu: “Wenn ich hier mal etwas anmerken dürfte. Ich glaube, der Toilettendeckel könnte einen Hauch mehr Farbe gebrauchen.” Hier sieht man schon die Vielgestaltigkeit von Ziel und Glaube an die Wirksamkeit.
Doch im Gegensatz zur ersten Kritik auf dem Fußballplatz, die sowohl kongruent mit Ort und Anlass als auch mit Sender und Empfänger ist, wird bei dem zweiten Beispiel deutlich, dass hier Inkongruenz von Ausdruck und Objekt, Sender und Empfänger die Interpretation schwierig macht.
Sehen wir sie uns mal genauer an. Herr Schwammmann lässt sein Bad machen, der Installateur schließt gerade die Toilette an, da sieht Herr Schwammmann entsetzt, dass der Toilettendeckel von minderer Qualität ist. Er möchte den Installateur nicht verärgern und versucht daher, sich besonders höflich auszudrücken. Er sagt: “Wenn ich hier mal etwas anmerken dürfte. Ich glaube, der Toilettendeckel könnte einen Hauch mehr Farbe gebrauchen.”
Er kommuniziert auf folgenden Ebenen:
Sachebene: “Der Toilettendeckel ist schlampig verarbeitet.”
Appellebene: “Bauen Sie einen neuen Toilettendeckel ein.”
Beziehungsebene: “Ich habe Angst, dass er von mir verärgert wird und einfach geht.”
Selbstoffenbarungsebene: “Ich bewundere Handwerker, weil ich zwei linke Hände habe. Ich habe Angst vor Handwerkern und ihren lauten Stimmen.”
Das ist natürlich nur eine Möglichkeit, wie Herr Schwammann seine Bitte konnotiert. In der Vorstellung hofft er jedenfalls auf das Verständnis des Installateurs und seiner wie folgt erträumten Antwort:
“Ja, da haben Sie recht. Ich werde gleich veranlassen, dass Sie einen neuen Klodeckel bekommen. Danke für Ihren Hinweis.”
Aber mal ehrlich, wer von uns würde wirklich daran glauben, dass der Installateur das sagt? Was liegt da näher? Eine realistische Antwortmöglichkeit könnte lauten:
"Wennse billiges Zeuch kaufen, sieht’s auch billig aus. Ich bin kein Baumarkt. Ich friemel Ihnen das nur ran.”
Was steckt dahinter? Ungefälligkeit? Desinteresse oder Inkompetenz? Nein, hier hat der Installateur etwas anderes gehört:
Sachebene: “Der Toilettendeckel ist Pfusch.”
Appellebene: “Machen Sie Ihre Arbeit ordentlicher, das hätten Sie sehen müssen.”
Beziehungsebene: “Ich bin intellektuell und stehe weit über Ihnen. Damit Sie das auch merken, versuche ich mich ganz etepetete auszudrücken.”
Selbstoffenbarungsebene: “Handwerker sind dumm und schlampig, da muss man immer auf die Finger gucken, sie wollen einen immer nur betrügen.”
Doch welche Art der Kritik wäre besser gewesen? In diesem Falle wären klare Worte besser gewesen. Beispielsweise:
“Also der Toilettendeckel ist schlampig verarbeitet, können Sie mir einen Ersatz besorgen?” oder auch: “Was ist denn das für ein Pfusch, bauen Sie ihn bitte nicht ein, den müssen wir umtauschen.”
Man sieht also, dass Kritik zu äußern immer auch einen Rahmen braucht, der zum Inhalt passt. Das fängt bei der Wortwahl an und geht bis hin zu allen möglichen Aspekten der nonverbalen Kommunikation. Dazu kommt noch ein wichtiger Aspekt, das Timing. Also WANN sage ich etwas. Unser obiges Beispiel scheint sich ja ganz zeitnah abzuspielen. Würde sich hier aber ein mehrtägiger oder gar -wöchentlicher Versatz einstellen, wäre die Reaktion nochmal deutlich verschärft. Angenommen, die Installationsarbeit ist abgeschlossen, Herr Schwammmann soll die Arbeit abnehmen und sagt erst dann: “Nun, um ehrlich zu sein, glaube ich, dass der Toilettendeckel einen Hauch mehr Farbe hätte gebrauchen könnte.” Das kann zu ungeahnter Aggression und Wut beim Installateur führen. Denn neben den oben genannten Faktoren kommt nun noch das Hinhalten hinzu. Er sieht sich der Möglichkeit beraubt, etwas zu korrigieren. Er wird zur Passivität und Rechtfertigung gezwungen und verliert damit automatisch die Augenhöhe, wie er sie noch während der Arbeit gehabt hätte.
Ein anderer Punkt ist die Beziehungsebene der Kritik. In unserem Beispiel fällt die gestelzte Rede auf. Sie nimmt man als irgendwie albern, unpassend und daher auch etwas lächerlich wahr. Denn auf der Beziehungsebene zeigt man, wie man den Anderen aus seiner Sicht sieht. Da wird der Installateur wie ein Monarch angesprochen, Herr Schwammmann zeigt sich servil wie eine Hofschranze. Ist das normal oder ironisch? Denn da Herr Schwammmann der Auftraggeber ist, dreht er innerhalb seiner Formulierung die Tatsache um. Das ist unverständlich und inkongruent. Denn diese durchaus als Ironie wahrzunehmende Wortwahl wirkt daher arrogant, so von oben herab. Genau das aber könnte den Installateur besonders ärgern.
Fazit
Unser kleiner Exkurs in das große Reich der Kritik soll zeigen, dass die Stellschrauben, Kritik gekonnt hervorzubringen, oft aus Sicht des Senders justiert werden müssen. Neben den allseits bekannten Nachrichtenebenen, gibt es eben alle nonverbalen Elemente, aber auch die von Zeit und Ort. Weiterhin muss man sich im Klaren darüber sein, dass Kongruenz innerhalb der Kritik ein wesentlicher Kern ist, dass diese auch wie gewünscht wahrgenommen wird. Ironie kann durchaus sehr gut funktionieren, wenn man weiß, dass diese der Sender auch versteht. Aber inkongruente Kritik, die mehrere Lesarten möglich macht, bleibt meistens erfolglos und löst eher Antipathie als Verständnis aus.
Bitte beachtet auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.