Muttertag, ein deutsches Wunder?
Nachdem wir das Phänomen „Männertag“ betrachtet haben, ist es nur recht und billig, sich auch mit den Damen, insbesondere mit den Müttern zu beschäftigen. Auch sie verdienen jeden Respekt, welcher sich auch in einem Ehrentage niederschlägt. Dennoch haftet dem Muttertag ein etwas fraglicher Zusammenhang an, wird doch immer wieder behauptet, dass die Nazis ihn erfunden hätten, um die Frauen zu ehren, die Nachwuchs für ihre Kriege brachten. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Und auch, dass ca. 130 Millionen € jährlich in Deutschland für Blumen an diesem Tage ausgegeben werden. Wir sehen, es lohnt sich, den Muttertag näher zu betrachten.
Ein Feiertag für Mütter
Die Idee ist verblüffend alt, ja, man kann fast sagen, dass die Ehrung von Mutterschaft und Frau so alt wie die Menschheit selbst ist. Man kennt Überlieferungen aus der griechischen, aber auch der nordischen Mythologie. Aber auch die Bibel kennt die Ehrung der Mutter, sowohl von Maria als Mutter Jesu, als auch ihrer Mutter (Hl. Anna, wird aber in den Evangelien nicht erwähnt). Immer wieder spielt die Kombination zwischen Mutterschaft und Weisheit eine besondere Rolle. Deutlich wird das beispielsweise in Wagners „Ring des Nibelungen“ durch Erda und der schwangeren Sieglinde (Rheingold, Walküre).
Doch kommen wir wieder zurück vom Mythologischen in das 19. Jahrhundert. Anna Maria Reeves Jarvis, die Ehefrau eines methodistischen Pfarrers in West Virginia, kümmerte sich um die sozialen und hygienischen Missstände in ihrer Umgebung. Noch heute gehört das Land zu den ärmsten Gebieten der USA. Sie gründete (noch vor den Sezessionskriegen) einen Mütterverein, den Mothers Days Works Club, der sich zum Ziel gesetzt hatte, die Gesundheit der Gemeinde zu stärken. Und das geschah am besten durch Aufklärung und, wie man heute sagen würde, Networking. (Noch heute führt West Virginia eine traurige Statistik in den USA an. Fast 40% der Einwohner gelten als stark übergewichtig, was letztlich immer noch auf ein Bildungsdefizit schließen lässt.) Die Arbeitsbedingungen waren hart, die Kindersterblichkeit hoch, die sozialen und hygienischen Bedingungen katastrophal. Bildung gab es praktisch nicht oder nur sehr vereinzelt. Dieses jahrzehntelange Bemühen machte Ann Maria Reeves Jarvis über die Grenzen ihrer Gemeinde hinaus bekannt. Ihre Tochter Anna Marie Jarvis setzte diese Arbeit fort, veränderte aber den Fokus von der Aufklärung und Bildung weg zu praktischer medizinischer Hilfe bei Verwundeten und der Unterstützung durch Sammlungen von Spenden. Außerdem hielt sie das Andenken ihrer Mutter hoch und warb für einen Feiertag für die Mutter. Sie war das Sinnbild von Güte, Hilfe und sozialer Wärme, aber galt auch als Hüterin der Familie und des Nachwuchses. Mit Erfolg. Seit 1914 gibt es in den USA den Muttertag als nationalen Feiertag. Andere Länder zogen schnell nach. Seit 1923 gibt es ihn auch in Deutschland.
Kommerzialisierung und Ideologisierung
Schon die Begründerin des Muttertages, Anna Marie Jarvis, bedauerte sehr schnell, dass aus dem ehrenvollen Gedenken ein prosperierender Kommerz entstand. Der Muttertag hatte ihrer Meinung nach mehr und mehr eine Alibifunktion. Ihr ganzes Leben und Vermögen widmete sie diesem Kampf, der erfolglos blieb. Der Muttertag setzte sich durch. Innerhalb von weniger als zehn Jahren gab es ihn in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern als nationalen Feiertag. Nun war die Welt überschattet von Krieg und Zerstörung. Das führte in vielen Ländern zu einem Paradigmenwechsel der Muttertagsbewegung. Wurde zu Beginn eher die karitative Arbeit hervorgehoben, so zeigte der Krieg und seine „Nachwuchssorgen“, dass die Mutter als Gebärende ein zu verehrendes Ideal darstellt. Kinderreichtum, vor allem an Söhnen, war durch die Fruchtbarkeit der Mutter möglich. Je mehr, desto besser. Muttertagsfeiern wurden größer und öffentlicher, die Floristik boomte, Denkmale wurden errichtet und Auszeichnungen erfunden. Bei den Nazis kam noch ein anderer Zungenschlag hinzu, der religiöse. Da sie das Christentum mit einer eigenen „Religion“ ersetzen wollten, gab es nunmehr nicht mehr Mütterfeiern, sondern „Mütterweihen“. Arische Frauen wurden zu „Hüterinnen der germanischen Herrenrasse“. Rassenpolitik und Kriegstreiberei vernichteten besonders viel „Menschenmaterial“. Die deutsche Mutter wurde daher zur Heldin stilisiert, ohne die ein Krieg niemals zu gewinnen ist. Auszeichnungen gab es für besonders viele Kinder. Gegen Ende kamen noch Durchhalteparolen hinzu, die auf die angeblich übernatürliche Belastbarkeit von Müttern Bezug nahm. Mütter wurden verehrt, weil sie Soldaten gebaren. Punktum. Alle anderen Gründe sind zweitrangig und ideologisch aufgeladen. Und das ist auch der Grund, warum die Begehung des Muttertages kritisch hinterfragt wird.
Fazit
Die Idee, seiner Mutter zu gedenken, klingt zu logisch und natürlich, als dass man irgend etwas Schlechtes vermuten kann. Und dennoch zeigt die über hundertjährige Muttertagsgeschichte folgende drei Tendenzen. (1) Aus der Ehrung des Andenkens und des Wirkens der Mutter wurde eine Bewegung, die sich diesem Andenken verschrieb und karitativ und aufklärerisch arbeitete. (2) Muttertagsfeiern wurden eine Massenbewegung, ein nationaler Feiertag und daher ein riesiges kommerzielles Schwergewicht. Heute geht es um ca. 130 Millionen € an Schnittblumen in Deutschland. (3) Der Muttertag wurde ideologisch vereinnahmt und diente dazu, dass mehr Kinder, also mehr Soldaten geboren wurden.
Ich denke, dass man sich mit diesen drei Tatsachen kritisch auseinandersetzen muss. Gerade in den heutigen Zeiten, wo Diversität Geschlechterrollen hinterfragt und ablöst, scheint das archaische Modell „Mutter“ nicht mehr en vogue zu sein. Aber ich hoffe, dass außerhalb der biologischen Notwendigkeit von Mutterschaft noch andere Werte und Beziehungen eine Rolle spielen, die uns den Muttertag auch weiterhin feiern lassen können.
Danke, Mutti!
Bitte beachtet auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.