Vier Ohren hören mehr als eins – leider?

Das Vier-Seiten-Modell der Kommunikation nach F. Schulz von Thun

Feindschaft, Familienfehden und Nachbarschaftszwiste führen nicht selten zu überfüllten Gerichtssälen und tätlichen Auseinandersetzungen. Und “Schuld” daran ist meistens die fehlende oder “falsche” Kommunikation. Denn wenn überhaupt ein Grund der Auseinandersetzung bekannt ist, dann liegt nicht selten ein Missverständnis vor, welches sich von außen betrachtet oft als harmlos oder unnötig erweist.

Doch warum reagiert man manchmal so empört auf eine Nachricht, die andere als lapidare Information empfinden? Und warum möchte man jemandem etwas sagen, der es aber beim besten Willen nicht versteht? Doch warum versteht er wiederum nicht das, was doch offensichtlich scheint? Und warum werden ganze Kücheneinrichtungen aufgrund von “bösen” Sätzen zerstört?

Ein wichtiger Schlüssel zu all diesen Missverständnissen liegt in der Komplexität von Sender und Empfänger. Sage ich zu meinem Partner kurz vor acht abends: “Der Baumarkt macht gleich zu.”, so kann in dieser Nachricht nicht nur die Information liegen, dass der Baumarkt schließt, sondern auch die hörbare Aufforderung mitschwingen, doch jetzt endlich loszufahren. Aber noch weitere Informationen lauern in diesem Satz.

Friedemann Schulz von Thun, Psychologe und Kommunikationswissenschaftler, hat ganze vier Ebenen einer Nachricht analysieren können:

  1. Sachebene: „Worüber ich den anderen informiere“. Die Sachebene ist also die reine Information.
  2. Offenbarungsebene: „Was ich von mir selbst kundgebe“. Hier erfährt der Empfänger etwas vom Sender.
  3. Beziehungsebene: „Was ich von dir halte, oder wie wir zueinander stehen”. Die Nachricht sagt auch etwas über die Beziehung zwischen Sender und Empfänger.
  4. Appellebene: „Wozu ich dich veranlassen möchte“. Hier zeigt sich die Motivation, die Nachricht zu senden und beabsichtigte Wirkung auf den Empfänger.

Doch nun ein Beispiel:

Klaus sagt zu Martin: “Der Baumarkt macht gleich zu.”

  1. Sachebene: Es ist fast acht, der Baumarkt schließt um acht, fertig.
  2. Offenbarungsebene: Klaus ist es wichtig, zum Baumarkt zu fahren, oder aber, Klaus möchte gerne damit sagen, dass er die Kontrolle hat und an den Plan, zum Baumarkt zu fahren, noch denkt.
  3. Beziehungsebene: Klaus meint es sagen zu müssen, weil er Martin für nicht so organisiert hält wie sich selbst, sie kennen sich schon lange und scheinen keine umschreibenden Höflichkeitsfloskeln zu brauchen.
  4. Appellebene: Die manchmal heikelste und emotionalste aller Ebenen, denn hier mahnt Klaus, doch nun endlich loszufahren, so nach dem Motto: ‘Wenn ich das nicht sagen würde, würde wieder nichts passieren. Ich muss es immer sagen und dich ermahnen’.

Martin hört von Klaus: “Der Baumarkt macht gleich zu.”

  1. Sachebene: Es ist fast acht, der Baumarkt schließt um acht, identisch.
  2. Offenbarungsebene: Martin kriegt mit, dass Klaus es natürlich nicht vergessen hat, zum Baumarkt zu fahren. Er ist ja auch immer SO organisiert.
  3. Beziehungsebene: Martin hört eindeutig Kritik an seiner Schludrigkeit. Ohne Klaus würde er wahrscheinlich NIE in den Baumarkt fahren, ALLES muss Klaus ihm MEHRMALS sagen.
  4. Appellebene: Martin hört nur: “LOS, JETZT fahren wir dahin. Immer schiebst Du alles auf, ich bin der Chef, und du gehorchst jetzt, basta”.

Und so könnte das kurze Gespräch nun insgesamt lauten:

Klaus: “Der Baumarkt macht gleich zu.”

Martin: “Klaus, du nervst, lass mich in Ruhe, fahre doch alleine. Ich habe es nicht vergessen, dass wir hinfahren wollten. Aber nicht heute und nicht jetzt. Und nein, du musst nicht alles mehrmals sagen. Und befehlen lasse ich mir schon gleich gar nicht. Du bist hier nicht der Chef.”

Und das erwidert er alles auf den harmlosen Satz: “Der Baumarkt macht gleich zu.”? Die geneigten Leser können sich wahrscheinlich vorstellen, dass einem handfesten Streit nun Tür und Tor offenstehen...

Natürlich kann es auch ganz anders laufen. In unserem Beispiel ist die Voraussetzung die, dass Martin einfach keine Lust hat und demzufolge den Satz: “Der Baumarkt macht gleich zu.” als unangenehm und störend empfindet. Klaus durchbricht seine momentane Komfortzone. Sein Beziehungsohr wird weit sein, und er wird überdeutlich die Ermahnung und Kritik heraushören. Aber auch sein Appellohr wird sehr groß sein. Er hört mehr Befehl als Hinweis.

Und wie könnte man diese Falle vermeiden?

Zum einen natürlich als Sender, in dem man seine Wunschbotschaft in der Ich-Perspektive ausdrückt. Klaus könnte mehr erklären, was er gerne möchte:

“Der Baumarkt macht gleich zu. Ich würde gerne heute Abend noch hinfahren, hast Du Lust und Zeit mitzukommen?”

Und zum zweiten könnte Martin sich als Empfänger mehr reflektieren und merken, mit welchem Ohr er gerade besonders sensibel hört. Er möchte nicht gerne vom Sofa aufstehen und seine Komfortzone verlassen, aber er weiß auch, dass Klaus endlich dahin fahren möchte. Eine mögliche Antwort von Martin wäre:

“Ganz ehrlich? Nein, eigentlich nicht, ich möchte heute nicht mehr raus. Aber wollen wir uns für morgen verabreden? Da komme ich wirklich gerne mit.”

 

Bitte beachten Sie auch meine Schwerpunktseite: www.musikerberatung-frieling.de.

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